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Transkript zu Episode 9: „Ein Film oder ein Fernsehbeitrag sollte immer auch ein Raum für Kommunikation bieten.“

Festivals sind Orte der Teilhabe und der Diskussion. Filmfestivals können Orte sein, an denen Kinder sich gesehen fühlen. Nicola Jones wünscht sich, dass dort über Film- und Medieninhalte kritisch diskutiert wird und so Meinungsbildungsprozesse stattfinden.

Nicola Jones: Ganz wichtig finde ich auch aus Festivalsicht, dass ein Film oder ein Fernsehbeitrag immer auch ein Raum für Kommunikation bieten sollte. Also dass sich daraus wiederum weitere Gespräche entspinnen können, über die man dann im Kreise der Freunde oder im Kreise der Familie auch diskutieren und sprechen kann.

[Intro] „Generation Alpha – Der KiKA-Podcast“

Ann-Kathrin Canjé: Hallo, mein Name ist Ann-Kathrin Canjé. Ich bin Kulturjournalistin und begleite Sie heute durch diese Folge. Schön, dass Sie zuhören. Wir blicken in diesem Podcast wie immer auf die Generation Alpha. Also die Generation, die nach 2010 geboren ist. Eine, der die neuen Medien quasi in die Kinderwiege gelegt worden sind. In dieser Folge widmen wir uns dem Thema Kinderfilm und insbesondere dem Stellenwert von Kindermedienfestivals. Was macht denn eigentlich einen guten Kinderfilm für die Generation Alpha aus? Wie kann ein Filmfestival zur Filmbildung beitragen? Warum sind Festivals Orte der Teilhabe und Diskussion? Darüber spreche ich heute mit meiner Gästin Nicola Jones. Sie ist seit 2016 Geschäftsführerin und Festivalleiterin bei der deutschen Kindermedienstiftung Goldener Spatz. Die veranstaltet auch das gleichnamige und größte deutschsprachige Kinder Medien Festival in Deutschland. Den Goldenen Spatz, den gab es damals schon in der DDR. Heute wird er an gleich zwei Standorten in Gera und in Erfurt veranstaltet. Für die Zukunft der Generation Alpha hat Frau Jones einige spannende Vision mitgebracht.

Nicola Jones: Ich wünsche mir für die Generation Alpha, dass sie quasi über ihre digitalen Fähigkeiten und Kenntnisse, die sie haben, hinaus diese auch aktiv einsetzen. Und da, dass darüber auch wieder Gemeinschaftserlebnisse geschaffen werden, indem man nämlich über diese digitalen Möglichkeiten möglicherweise auch zusammenkommt. Über Film- und Medieninhalte kritisch diskutiert, sich austauscht, ein Meinungsbildungsprozess stattfindet, der auch für die eigene Entwicklung der Persönlichkeit wichtig ist.

Ann-Kathrin Canjé: Bevor wir über die Zukunft gesprochen haben, haben wir erst mal geschaut, welche Themen beschäftigen wohl die Generation Alpha? Und ich habe eine neugierige Frage zum Einstieg mitgebracht. Hallo Frau Jones, schön, dass Sie heute dabei sind.

Nicola Jones: Ich freue mich auch, dass sich bei ihnen zu Gast sein darf.

Ann-Kathrin Canjé: Frau Jones, wenn wir über Kinder Medien Festivals sprechen, dann ja auch über den Kinderfilm an sich, den prägen natürlich ganz besonders die Protagonist*innen. Und weil ich sehr neugierig bin, wollte ich mal fragen, welche Kinderfilmheldin oder -held aus ihrer Kindheit wären Sie gerne? Und warum?

Nicola Jones: Ja. Wenn man das jetzt beschreibt, dann gibt man immer gleich sein Alter preis. Aber dass, da bin ich nie so eitel. Ich war ein sehr großer Fan der Serie Arabella, die Märchenprinzessin. Das war eine tschechische Serie aus den 80er-Jahren. Und ich habe mich immer sehr gespiegelt in der Figur der Arabella und fand das natürlich einerseits toll, in diese Märchenwelt einzutauchen. Aber andererseits konnte die ja zwischen der Märchenwelt und der realen Welt hin- und herswitchen mit einem Zauberring, glaube ich. Und dann war sie in der realen Welt eben diese moderne, junge Frau. Auch mit kurzen Haaren. Und ich fand dieses Bild einfach toll, dass man eben beides sein konnte.

Ann-Kathrin Canjé: Ich kenne sie tatsächlich auch noch, die Arabella. Ich erinnere mich daran. Das habe ich auch gerne gesehen. Und trotzdem muss ich sagen, wenn ich jetzt so an Kinderfilme aus meiner eigenen Kindheit denke, dann sind es eher Filme wie „Emil und die Detektive“ oder „Michel aus Lönneberga“-Verfilmungen. Also viele Filmstoffe, die tatsächlich auf Literaturvorlagen beruhen. Und die Initiative „Der besondere Kinderfilm“, wo auch der goldene Spatz zugehört, will vor allem Filme fördern, die nicht auf einer literarischen Vorlage beruhen. Also neue Stoffe schaffen. Warum sind so neue, originäre Filmstoffe für den Kinderfilm aus ihrer Sicht wichtig?

Nicola Jones: Also alles ist in diesem Bereich wichtig, um eine Vielfalt zu schaffen. Aus meiner Sicht brauchen wir dafür natürlich die großen Marken, die Buch- und Literaturverfilmungen, die Sie auch schon genannt haben. Und das Wichtige hier ist einfach, dass wir aus dem originären Bereich heraus Geschichten erzählen, die nah an der Lebenswelt der Kinder von heute dran sind. Und das kann man natürlich im Rahmen von Literaturverfilmungen auch machen. Man sieht ja von „Emil und die Detektive“ gibt es ja über die Jahre mehr als einen Film. Und das wird natürlich auch mal an die heutige Zeit angepasst. Aber in dem originären Erzählen kann man, glaube ich, noch mehr in diesen aktuellen Zeitgeist eben herangehen und dort auch spezifische Dinge aufzeigen.

Ann-Kathrin Canjé: Jetzt sind wir schon genau bei dem bei dem heutigen Zeitgeist, bei dem Ist-Zustand und dass die Lebensrealität der Kinder auch abgebildet werden muss, wenn ich Sie da richtig verstehe. Welche Kinderfilme braucht die Generation Alpha denn auch in die Zukunft geblickt?

Nicola Jones: Also ich glaube, dass, wenn wir jetzt nicht in die Historie einfach zurückblicken, dass es vielleicht gar nicht so von den Themen her so unterschiedlich ist. Also ich glaube, dass wir quasi heute auch diese Themen auch noch haben, die wir schon auch vor 20, 30 Jahren hatten. Wie eben das Thema Freundschaft, das Thema Konflikte in der Familie, Ausgrenzung und Mobbing. Das sind nach wie vor Themen, die Kinder von heute beschäftigen. Aber natürlich in einem anderen Umfeld. Also ich denke, dass Themen von heute natürlich auch eine Auswirkung haben auf die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wie wir miteinander leben. Wenn wir jetzt zum Beispiel auch aktuell auf die Situation Corona schauen. Ich glaube jetzt nicht unbedingt, dass wir jetzt einen ganzen Film über die Corona-Epidemie für Kinder brauchen. Das ist es, glaube ich, nicht, was ich damit meine. Sondern ich meine einfach, dass diese Themen in den Filmen, die wir heute für Kinder erzählen, auftauchen sollten. Und das sind gesellschaftliche Spaltungen, die wir gerade sehen. Und das es sicherlich irgendwie auch kommen wird in der Frage: Wie schlägt sich dieser Konflikt möglicherweise auch im persönlichen Umfeld wieder? Na, also wie gehen wir auch mit demokratischen Prozessen um? Was passiert, wenn im Rahmen der Gesellschaft auch immer mehr die Meinungen aufeinanderprallen und nicht mehr richtig zugehört wird? Daran lassen sich natürlich auch wiederum sehr, sehr gute Geschichten, glaube ich, erzählen. Ich glaube auch, dass das Thema Diversität wichtiger wird und dass Kinder heute da auch schon ganz anders, ganz viel sensibler draufschauen als wir das als Erwachsener, die wir das ja eigentlich jetzt erst nochmal mitgelernt #haben, thematisiert werden könnten. Und weiterhin glaube ich auch natürlich, dass das Thema Klimaschutz und Umweltverschmutzung und großes Thema ist, was Kinder einfach sehr interessiert einerseits. Wo sie viele Informationen zu auch haben wollen und andererseits natürlich auch Wege aufgezeigt brauchen, wie ist damit zukünftig umzugehen. Und auch das sind wichtige Themen. Aber auch hier glaube ich, dass man nicht unbedingt immer einen konkreten Film braucht, der darüber erzählt, sondern man kann das auch anhand einer Abenteuergeschichte, einer Detektivgeschichte machen.

Ann-Kathrin Canjé: Und lässt sich denn aus den Themen, die Sie gerade schon benennen, auch ein Kriterium oder Kriterien ableiten, die für einen guten Kinderfilm oder auch für gutes Kinderfernsehen wichtig sind?

Nicola Jones: Ganz wichtig finde ich auch aus Festivalsicht, dass ein Film- oder ein Fernsehbeitrag immer auch einen Raum für Kommunikation bieten sollte. Also dass sich daraus wiederum weitere Gespräche entspinnen können, über die man dann im Kreise der Freunde oder im Kreise der Familie auch diskutieren und sprechen kann. Also das ist was, was wir im Festival ja auch immer wieder haben, in dem wir dann im Nachgang eben Filmgespräche haben. Und das können die unterschiedlichsten Themen sein. Aber wenn es einen Anknüpfungspunkt gibt, und es wäre schon der nächste Punkt, dass es dort eben auch Anknüpfungspunkte für die Kinder und Jugendlichen gibt, zu schauen: Wo sind die Parallelen zu meiner eigenen Lebenswirklichkeit? Und entweder kann ich sie feststellen und darüber reflektieren. Oder ich stelle eben auch möglicherweise Unterschiede fest. Und auch darüber gibt es wieder viele, viele Fragen, die sich daran entspinnen. Die es zu stellen gilt und auch Neugierde, die geweckt wird. Und wiederum dann auch das Gespräch mit anderen möglicherweise darüber zu suchen. Wichtig finde ich auch, dass wenn Konflikte erzielt werden, denn das Leben von Kindern ist ja nicht konfliktarm, im Rahmen von Konflikten auch dazu führt, dass der Film eben Lösungen aufzeigen. Ja, das mögen nicht immer die naheliegendsten Lösungen sein. Und das muss auch nicht am Ende immer das Happy End sein. Aber das keine Hilflosigkeit entsteht, sondern im Gegenteil. Das es auch, da eine Auswirkung gibt, die Kinder selbst ermächtigt und ihnen auch das Gefühl gibt: Ich bin als Kind eine Person, ich kann etwas ändern. Und da spielt auch aus meiner persönlichen Erfahrung heraus als Kind auch die Fantasie natürlich eine große Rolle. Wenn Fantasie angeregt wird, dann macht einen das auch stark, weil in der Fantasie kann ich eigentlich alles sein. Superheld, Prinzessin, Ritter oder so. Und ich kann mich größer fühlen, als ich es eigentlich bin. Und das ist auch eine Grundeinstellung, die Filme ruhig vermitteln dürfen. Es muss nicht alles immer ganz, ganz real sein. Also ich darf auch ruhig in der Fantasie sein. Also größer als das Leben sein. Aus meiner Sicht.

Ann-Kathrin Canjé: Also von Fantasiewelten, dem Stellenwert von Klimaschutz und Nachhaltigkeit bis zur harten Corona-Realität. Auf die Generation Alpha wartet in den kommenden Jahren sicher genug Filmstoff, der viele Medienfestivals füllen kann. Kinder und Jugendliche rezipieren schon heute vielfältige Inhalte aus dem internationalen Markt, dabei auch kontroverse Serien wie „Squid Game“, wie Studien zeigen. Die passen nicht zur Zielgruppe oder zu den Werten von KiKA. Von Nicola Jones wollte ich wissen: was und welche Inhalte braucht es denn da von deutscher oder europäischer Seite, um dagegen halten zu können?

Nicola Jones: Also ich kenne jetzt „Squid Game“ persönlich nicht. Ich habe natürlich nur davon gehört und auch darüber gelesen. Und ich habe immer den Eindruck, dass so etwas auch schon immer gegeben hat, dass es plötzlich ein Medienphänomen gibt, über das alle Erwachsenen nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Und die Kinder ist aber eigentlich das halt umso cooler finden, weil die Erwachsene es so schrecklich finden. Das wird es glaube ich, immer, immer geben. Aber ich finde es sehr gut an ihrer Frage, dass sie eigentlich nicht sagen: Müssen wir das verbieten? Sondern sie fragen ja, ob wir dem ein Angebot entgegensetzen müssen. Und da würde ich automatisch und aus voller Inbrunst der Überzeugung auch sagen: Ja, das sollten wir. Und da sollten wir uns, glaube ich, auch noch einmal mehr trauen, dass wir in den verschiedenen Bereichen, auch beim besonderen Kinderfilm, aber auch darüber hinaus, einfach auch noch mehr Genrefilme oder Genres anbieten für den Kinderfilm. Also auch den Science-Fiction-Film auch den Fantasyfilm, auch das Roadmovie und so weiter. Das wir einfach da aus allen Vollen auch schöpfen können. Und wenn man ein gutes Angebot schaffen, was genauso spannend ist wie für Kinder wie möglicherweise auch für Eltern. Dann hat man zumindest einen guten Gegenpol. Und man hat vor allem eine Vielfalt, die wir auch brauchen im Kinderfilm. Genauso wie wir in Erwachsenenfilm auch haben. Vielleicht ein gutes Beispiel ist, wenn wir mal auf die Serienproduktion gucken. Na also, im Erwachsenenbereich, da boomt ja der Serienmarkt. Eine Serie nach der anderen wird für die Erwachsenen produziert. Bei den Kindern ist dieser Boom aus meiner Sicht noch überhaupt nicht angekommen. Und wenn dann eben mal so etwas zustande kommt wie jetzt zum Beispiel „Erben der Nacht“, eine Vampirserie, die sich auch alterstechnisch, vielleicht ein bisschen über dem – na, also eher vielleicht auch Richtung zwölf, Richtung 14 Jahre schon bewegt - dann ist das ein wahnsinniges, spannendes Angebot, was von den Kindern sehr gut angenommen wird. Weil es ist zum Beispiel, wäre es aus meiner Sicht, so ein gutes Gegenangebot. Und da bräuchten wir eigentlich noch mehr davon.

Ann-Kathrin Canjé: Es gibt ja mehrere Filmsendeplätze bei KiKA neben LOLLYWOOD. zum Beispiel noch des SamstagsKINO, Sonntagsmärchen und 2020 und 2021 gab es auch das sogenannte Kinofestival. Da hat KiKA internationale, ausgezeichnete Kinderfilme gezeigt. Was braucht es vielleicht aber noch mehr?

Nicola Jones: Also ich wünsche der Generation Alpha, die ja quasi durch die digitalen Medien eigentlich das Gefühl haben, dass sie auf der ganzen Welt unterwegs sein können, dass sie darüber hinaus zum Beispiel auch Zugang kriegen zur europäischen Kinderfilmkultur. Denn wir sitzen in Europa, aus meiner Sicht, auf einem richtigen Schatz und es werden jedes Jahr sehr, sehr viele Kinderfilme in Europa produziert. Und die finden aber teilweise überhaupt nicht den Weg über die Grenzen. Also es gibt tolle Filme aus Skandinavien, aus den Niederlanden, auch aus Südeuropa und auch aus Osteuropa. Und ich sehe diese Filme, weil ich viel auf Festivals unterwegs bin und weil ich dort die Möglichkeit habe, diese Filme zu sehen. Mit Untertitel, teilweise mit allen Sprachen. Und da leisten die Festivals natürlich einerseits eine tolle Arbeit, aber andererseits wissen wir auch, wenn die Festivals lokal stattfinden, sind sie nur ein lokales Publikum zugänglich. Und jetzt weiß ich natürlich, wie schwierig das ist, ein Film zu synchronisieren und hier im Kino auszuwerten. Das ist teuer und das Risiko wird verständlicherweise auch nicht von vielen Verleihern dann auf sich genommen. Aber wir haben ja die digitalen Möglichkeiten und warum nicht dann überlegen, wenn wir es im Kino nicht schaffen, zumindest über digitale Auswertungsformen Möglichkeiten zu schaffen, diese Filme zu untertiteln oder zu synchronisieren. Und sie auffindbar zu machen im Rahmen von Mediatheken, von anderen Plattformen. Das oder eben auch in Form von Ausstrahlung im linearen Fernsehen. Auch das wäre aus meiner Sicht wünschenswert.

Ann-Kathrin Canjé: Und wenn wir über das, was wir brauchen, sprechen, dann natürlich auch über den Ort, wo wir das sehen können. Wenn wir da jetzt auch nochmal auch in Hinblick auf die letzten zwei Corona-Jahre schauen, wie steht es denn überhaupt jetzt um die Situation des Kinderfilms im Kino? Auch mit Blick auf die große Kinderfilmfestival Landschaft? Was muss sich da vielleicht jetzt in Zukunft auch ändern?

Nicola Jones: Also aus meiner Erfahrung, und das würde ich jetzt einfach auch mal so in den Raum stellen, ist das, dass die meisten Festivals trotz Corona-Krise in den letzten zwei Jahren stattgefunden haben. Denn sie haben sich entweder an die gegebenen Bedingungen angepasst, oder sie sind eben auch noch einen Schritt weitergegangen und haben eben digitale Angebote geschaffen. Und das haben wir ja als Goldener Spatz auch gemacht. Wir haben eine Hybride Ausgabe in 2020 durchgeführt und jetzt 2021 dann eine digitale Ausgabe. Also es gibt da durchaus auch einen Innovationsschub, den wir hatten bei den Festivals. Und ich denke, ich glaube aber nach wie vor daran, dass wir das Kino auch brauchen. Ja, also, ich bin ein großer Fan von Kino. Und ich glaube das wir natürlich Generation Alpha über Tablets und Smartphones, die sind dann nicht mehr wegzudenken. Und das heißt ja aber nicht, dass das Kino deswegen keine Rolle mehr spielen sollte. Ich glaube, dass das das Kino einfach nochmal als Gemeinschaftserlebnis einen ganz anderen Rezeptionsraum bietet und dass das auch natürlich für Kinder und Jugendliche auch nochmal eine besondere Erfahrung ist. Und zu dieser Erfahrung muss man sie natürlich irgendwie auch vielleicht wieder hinführen. Jetzt, nach zwei Jahren. Und das ist auch eine Aufgabe, die wir uns als Festivals stellen sollten. Das sehe ich auch als eine Verantwortung.

Ann-Kathrin Canjé: Und ich merke auch, wenn Sie darüber sprechen über Kinderfilme und vor allem die Generation Alpha, da spricht immer so ihr Herz mit, wenn sie von einem Festival erzählen. Und die MDR-Intendantin Karola Wille, die hat auch gesagt: „Kinderfilm ist mehr als nur ein Herzensprojekt. Hochwertige Angebote für Kinder und Jugendliche sind wichtig für die Gesellschaft von morgen, da sie positiv identitätsbildend wirken.“ Warum ist ein Festival wie der Goldene Spatz denn auch so ein wichtiger Ort der Teilhabe und der Diskussion?

Nicola Jones: Also einerseits ist es erstmal ein niedrigschwelliges Angebot für Kinder, für Gruppen, für Schulklassen, zum Festival zu kommen und wirklich, ganz, ganz nah diese Filme zu sehen, zu erleben und auch einen Gesprächsraum dort geboten zu bekommen. Das andere, was wir natürlich machen, ist die Arbeit mit unserer Kinder-Jury. Das heißt, wir laden ja jedes Jahr bis zu 30 Kinder zu uns in die Jurys ein. Diese Kinder kommen aus ganz Deutschland und auch aus den deutschsprachigen Nachbarländern zu uns. Und sie werden mit einer sehr ehrenvollen und verantwortungsvollen Aufgabe betraut, nämlich alle Filme zu sichten oder alle digitalen Medienangebote zu testen, darüber zu sprechen und sich am Ende sozusagen für einen Sieger oder eine Siegerin zu entscheiden. Und das ist, glaube ich, ein wichtiger, also für die im Rahmen der Juryarbeit ein ganz wichtiger Prozess, weil die kommen aus unterschiedlichen Hintergründen dort eine Woche zusammen. Sie haben eine Verantwortung, die sie übernehmen und so sehr die auch am Anfang aufgeregt sind, so sehr entwickeln sie sich über die Woche dann hin zu wirklich sehr, ja sag ich mal, die wachsen quasi ein Stück weit alle über sich hinaus. Und das merkt man dann vor allem am Ende bei der Preisverleihung, dass da sehr viel Stolz auch über das, was man geleistet hat, entsteht. Und das ist natürlich auch ein Gemeinschaftsgefühl unter den Kindern entsteht und dass darüber hinaus natürlich auch demokratische Meinungsbildung, Willensbildung durch die Diskussion über diese Filme entsteht. Indem man natürlich auch anerkennen muss, das nicht immer der eigene Favorit, möglicherweise den Preis gewinnt

Ann-Kathrin Canjé: Und vor allem, was mir da auch so hängenbleibt. Ich habe auch durch die Laudatien gelesen. Es ist ja wirklich auch die Stimme der Kinder und ihre Sprache, wie sie den Film bewerten würden, mit ihren eigenen Worten. Sie finden einfach wirklich statt. Also es wirkt schon so, als ist es wirklich so ein richtiger Ort, wo ich jetzt als Kind da sagen kann: Hier zählt meine Stimme, hier kann ich teilhaben. Wenn Sie das nochmal vielleicht auch so als demokratischen Prozess benennen würden, ist es so? Also lernen Sie da vielleicht auch irgendwie Demokratie aushandeln?

Nicola Jones: Ja, das denke ich schon. Also ich denke, dass diese Diskussion und diese Gespräche, die dort geführt werden und die natürlich am Ende auch mit einer Mehrheitsentscheidung entschieden werden, dass es natürlich auch ein Hinführen ist zu demokratischen Prozessen, dass dort die Meinung aller gehört wird. Dass dort abgewogen wird, das auch argumentiert wird, dass es auch darum geht, Andere möglich nicht, möglicherweise zu überzeugen oder sich überzeugen zu lassen. Dass möglicherweise jemand anderes vielleicht bessere Argumente oder andere Argumente hat, die überzeugend sind. Und das spielt schon auch eine Rolle. Wir hängen das jetzt nicht an die große, sag ich, Glocke und sagen vorher hier wird Meinungsbildung und Demokratiebildung betrieben. Sondern das ist einfach durch die Arbeit, die man diesen Kindern auch anvertraut, ihnen zutraut. Dadurch wird es dann auch umgesetzt und auch von den Kindern in dieser Woche ein Stück weit erlernt und gelebt.

Ann-Kathrin Canjé: Filmfestivals wie der Goldene Spatz können also wirklich Orte werden, an denen Kinder sich gesehen fühlen, über sich hinauswachsen können und in dem sie Demokratie und Teilhabe wirklich spüren können. Dabei lernen sie die internationale Welt kennen, neue Geschichten und Erzählformen. Was es in Zukunft noch für die Generation Alpha braucht, das wäre für Nicola Jones zum Beispiel auch noch eine deutlichere finanzielle Anerkennung der Filmfestival-Landschaft. Dazu gehört ihrer Meinung nach auch eine gute finanzielle Ausstattung, um Mitarbeiter*innen bessere soziale Arbeitsbedingungen bieten zu können und auch um nachhaltiger zu werden. Im Gespräch hat sie mir erzählt, dass sie sich wünschen würde, dass wenn rund zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland Kinder ausmachen, auch zwölf Prozent Sendeplatz für Kinderinhalte vorhanden wäre. Und Nicolas Jones hat noch mehr Wünsche für die Generation Alpha.

Ann-Kathrin Canjé: Frau Jones, Sie haben ja auch selbst Kinder, die in der Generation Alpha sind. Und wenn sie jetzt für diese Generation einen Zukunftswunsch formulieren müssten: Was wünschen Sie der Generation Alpha?

Nicola Jones: Ich wünsche mir für die Generation Alpha, dass sie quasi über ihre digitalen Fähigkeiten und Kenntnisse hinaus, diese auch aktiv einsetzen. Und dass darüber auch wieder Gemeinschaftserlebnisse geschaffen werden, indem man über diese digitalen Möglichkeiten möglicherweise auch zusammenkommt. Über Film- und Medieninhalte kritisch diskutiert, sich austauscht, ein Meinungsbildungsprozess stattfindet, der auch für die eigene Entwicklung der Persönlichkeit wichtig ist. Vielleicht blicke ich mal an der Stelle, vielleicht auch ein bisschen über die Festivalarbeit hinaus, denn man muss natürlich auch anerkennen das Festivalarbeit auch ihre Grenzen hat. Nämlich in der Form, dass es ja ein zeitlich begrenztes Event ist, was stattfindet. Also dort werden für einen oder zwei Wochen die Kinos gefühlt. Dort werden Filmschaffende hin eingeladen, und das hat dann aber natürlich als Eventcharakter da so eine zeitliche Begrenzung. Und vielleicht wäre es wichtig darüber hinaus auch zu denken, wie können wir dann, wenn wir die da den Funken auch geweckt haben, das Interesse an dieser Arbeit den Kindern wiederum Räume anbieten, wo sie das möglicherweise fortführen können? Also ich denke da zum Beispiel an die Möglichkeiten Filmclubs zu schaffen, wo Kinder oder Jugendliche sich entweder selbst organisieren oder in Form von Organisationsstrukturen zusammenkommen können. Filme aus aller Welt möglicherweise zusammen gemeinsam schauen und sich darüber auszutauschen. Und darüber, denke ich, kann man auch sehr gut lokale Strukturen nutzen oder eben auch digitale Strukturen. Damit man eben dieses Erlebnis aus dem Festival, was da vielleicht auch einen Funken und ein Interesse weckt, auch weiter fortführen kann.

Ann-Kathrin Canjé: Wenn ich dann aber noch einmal jetzt denke, wie kann ich auch dabei helfen und wir als Gesellschaft. Heißt es dann beispielsweise auch, das Kino wieder näher zu bringen? Also ich denke da auch an meine Neffen, die ich beispielsweise habe, mit denen ich auch ins Kino gehen will. Ist es dann hilfreich, das zu tun? Oder wie kann ich dazu beitragen?

Nicola Jones: Ein wichtiger Punkt wäre, mehr auch darüber zu sprechen und zu schreiben und zu lesen, zu kommunizieren. Also, sich auch wirklich nochmal über Inhalte auszutauschen und auch kritisch darüber zu äußern. Also wenn man mal rückblickt auf die Geschichte des Goldenen Spatz zum Beispiel, dann war das ja auch immer ein Meinungsforum für die Film- und Fernsehschaffenden, sich wirklich auch kritisch über die Inhalte in den dort präsentierten Kinderfilmen und Fernsehsendungen auszutauschen. Und ich sage mal im Feuilleton Bereich findet Kinderfilm ja kaum statt und ich glaube, es wäre schon wichtig, dass wir da noch mehr reingehen und damit auch die Debatte unter, jetzt vielleicht auch mehr unter Erwachsenen, pflegen. Und ansonsten zum Beispiel, würde ich sagen wäre es auch wichtig, dass Kinder, ich rede mal von, Räume schaffen. Kino kann ja auch ein Raum sein, wo zum Beispiel auch heranwachsende Jugendliche sich treffen und gemeinschaftlich einen Film erleben, erfahren. Und das ist aber zum Beispiel in Deutschland auch sehr teuer. Und da könnte man darüber nachdenken, ob man nicht für Kinder gesonderte Möglichkeiten schafft, wie zum Beispiel ein Kulturticket, dass es zu einem Einheitspreis ermöglicht, ins Kino zu gehen. Und mehr als einmal im halben Jahr. Zum Beispiel.

Ann-Kathrin Canjé: Warum genau wünschen Sie sich das?

Nicola Jones: Ich wünsche mir das deshalb, weil ich denke, dass das Aufwachsen dieser Generation, im Rahmen von digitalen Medien natürlich auch, sie einerseits relativ schnell befähigt, damit umzugehen, andererseits vielleicht auch überfordert. Und dass man zunehmend diese Individualisierung, die durch die Nutzung von Smartphones und Tablets und Computern eben passiert, auch wieder rückkoppelt in ein echtes Gemeinschaftserlebnis. Und damit meine ich zum Beispiel nicht, dass man sich in Foren Kommentare gegenseitig an den Kopf wirft, sondern dass es wirklich wieder einen Diskussions- und einen Meinungsbildungs- und Austauschprozess gibt.

Ann-Kathrin Canjé: Okay, ich komme jetzt schon zu meiner letzten Frage. Wir haben jetzt schon über ihre Zukunftswünsche gesprochen und am Ende dieser Folge möchte ich gerne von ihnen wissen Frau Jones: Welche konkrete Maßnahme würden Sie am liebsten morgens schon umsetzen, um die Kinderfilmfestival-Landschaft für die Generation Alpha zu verbessern? Und warum?

Nicola Jones: Also, wenn ich, wenn ich morgen Königin von Deutschland wäre? Das wäre natürlich demokratisch gewählt, dann würde ich sagen: ab sofort gibt es ein Kinokulturticket für Kinder und Jugendliche. Damit können Kinder zu einem günstigen Preis jederzeit ins Kino gehen, im besten Fall sogar noch in Verbindung mit dem öffentlichen Nahverkehr. Und damit wäre zumindest eine Motivation und ein Incentive bereitgestellt, dass das ermöglicht. Und dann müssen wir natürlich auch noch dafür sorgen, dass auch zu den verschiedenen Tageszeiten in den Kinos natürlich auch Programm für Kinder und Jugendliche entsprechend angeboten wird.

Ann-Kathrin Canjé: Sagt Nicola Jones, Leiterin des Kindermedienfestivals Goldener Spatz. Vielen Dank für die Einblicke und das interessante Gespräch, Frau Jones. Und vielen Dank auch für diese konkrete Maßnahme, die es hoffentlich morgen schon geben wird.

Nicola Jones: Ich bedanke mich ebenso.

Ann-Kathrin Canjé: Ich habe jetzt große Lust, eine Runde europäische Kinderfilme zu schauen und freue mich aufs nächste Kindermedienfestival. Und in Sachen Kinderkinoticket bin ich echt gespannt, ob sich da vielleicht in den kommenden Jahren wirklich etwas tut. Bis dahin hoffe ich, Sie sind auch bei unseren nächsten Folgen dabei. Neue Episoden gibt es alle zwei Wochen, immer mittwochs. Also abonnieren Sie „Generation Alpha – der KiKA-Podcast“ gerne auf dem KiKA-Kommunikationsportal, in der ARD Audiothek und auf den gängigen Podcast-Plattformen. Bei Feedback oder Anregungen können Sie uns auch einfach eine Mail schreiben an kommunikation@kika.de. Bleiben Sie gesund und bis zum nächsten Mal.

[Outro] Generation Alpha - Der KiKA Podcast

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