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Transkript zu Episode 22: „Wenn wir die Kinderrechte in das Grundgesetz aufnehmen, stärken wir alle, die sich für das Wohl von Kindern einsetzen“, sagt UNICEF Deutschland-Geschäftsführer Christian Schneider im Gespräch mit Ann-Kathrin Canjé

„Kinder müssen erstmal von ihren Rechten gehört haben, um für sich und andere einzutreten.“ Was können Kindermedien wie KiKA in Sachen Aufklärungsarbeit über Kinderrechte leisten und – wie steht es eigentlich um die Kinderrechte?

Christian Schneider: Ich denke gerade, dass wir zum Beispiel schon in den Kindergarten, in der Kindertagesstätte, beginnen sollten, nicht nur über Kinderrechte zu sprechen, sondern auch Kinderrechte zu leben. Das heißt auch da, mit den ganz jungen Kindern schon anzufangen, Grundgedanken der Kinderrechte - über gleiche Chancen, über den Umgang auch miteinander, indem man achtsam mit den anderen Kindern umgeht und sie schützt - das kann man natürlich auch schon im Kindergarten beginnen zu lernen.

[Intro] „Generation Alpha - Der KiKA-Podcast“

Ann-Kathrin Canjé: Und zu dieser neuen Folge begrüße ich, Ann-Kathin Canjé, Sie ganz herzlich. Wie immer, sie haben es im Intro gehört, geht es in diesem Podcast um die Zukunft der Kinder der Generation Alpha. Also die, die nach 2010 geboren sind. Diese Folge steht im Zeichen des Themas „Kinderrechte“, auch passend zum dreißigsten Jubiläum der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland in diesem Jahr. In Deutschland leben circa 10,85 Millionen Kinder unter 14 Jahren. Wie steht es denn eigentlich um deren Rechte hierzulande und wie werden Kinder mit einbezogen? Wie sieht es mit ihren Rechten auch im digitalen Raum aus? Mit meinem heutigen Gast, Christian Schneider, möchte ich über diese Fragen sprechen und auch darüber, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen Deutschland zu einem kinderfreundlicheren Ort machen würden. Er ist seit 2010 Geschäftsführer von UNICEF Deutschland und für das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen arbeitet er schon seit 1998 und leitete dort von 2002 bis 2010 den Bereich Kommunikation und Kinderrechte. Christian Schneider ist quasi auch ein ehemaliger Kollege. Er studierte Publizistik, Ethnologie und Politikwissenschaften, hat als Redakteur für die westfälischen Nachrichten in Münster, sowie als freier Journalist für verschiedene Tageszeitung gearbeitet. Wir hören mal in seine Zukunftsvision für die Generation Alpha rein.

Christian Schneider: Ja, ich wundere mich manchmal, dass wir den Zustand unserer Gesellschaft und damit auch die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft immer noch mit Indikatoren messen, die eigentlich auch schon ganz alt sind und Realitäten nicht mehr abbilden. Also reine Dinge wie das Wirtschaftswachstum, Inflationsrate, Arbeitsmarktzahlen. Ich glaube mit diesen Parametern versuchen wir immer wieder zu greifen, wie es Deutschland eigentlich geht. Ich würde mir wünschen, dass wir es schaffen, in den nächsten Jahren wirklich das Wohlergehen der Kinder in unserem Land zum Maßstab zu machen und versuchen herauszufinden, dass wenn es den Kindern im eigenen Land und auch weltweit gut geht, es auch der ganzen Gesellschaft besser geht.

Ann-Kathrin Canjé: Auf der Seite von UNICEF wird Christian Schneider wie folgt zitiert: „Die Welt zu einem besseren Ort für Kinder machen und für die Kinderrechte eintreten. Das ist der schönste und wichtigste Auftrag, den ich mir vorstellen kann.“ Schön, dass wir gemeinsam heute über dieses wichtige Thema „Kinderrechte“ sprechen können. Willkommen, Herr Schneider.

Christian Schneider: Darauf freue ich mich auch, hallo.

Ann-Kathrin Canjé: Mir ist neulich ein Zettel aus meiner Kindheit in die Hände gefallen. Da musste ich an unser Gespräch denken, in der Vorbereitung und deswegen möchte ich gerne mit etwas Persönlichem einsteigen. Auf diesen Zettel, den ich da gefunden habe, habe ich damals bei einem Familienausflug an meine Eltern geschrieben, weil ein Verwandter meinte, ich hätte seine Würde verletzt. Ich glaube, es ging da irgendwie um Spielregeln und ich habe meinen Eltern dann eben geschrieben, dass nicht nur dieser Verwandte eine Würde hat, sondern auch ich - ein damals 13-jähriges Mädchen. Und ich erinnere mich noch, dass ich damals mich so hilflos irgendwie gefühlt habe und so richtig ungerecht behandelt und dass meine Meinung nichts wert ist, weil ich eben ein Kind bin. Gibt es bei Ihnen so eine frühe Erinnerung an eine Situation, in der sie sich ungerecht behandelt gefühlt haben oder wo sie gemerkt haben: Mensch, meine Meinung, die zählt hier einfach nicht, nur weil ich ein Kind bin.

Christian Schneider: Da ist schon seit 1998 bei UNICEF arbeite, ist klar, dass meine Kindheit etwas länger zurückliegt. Aber ich denke tatsächlich, auch wenn man sicher nicht alles mehr hundertprozentig in Erinnerung hat, an meine Grundschulzeit zurück. Und ich glaube, da gab es ein paar Momente, bei denen wir erst hinterher, als ich etwas älter wurde, klargeworden ist, dass das heutzutage aus kinderrechtlicher Sicht eigentlich gar nicht mehr okay ist, wie mit uns Kindern teilweise in der Grundschule umgegangen wurde. Das waren natürlich noch einige Lehrerinnen und Lehrer aus älteren Zeiten. Und ich kann mich doch erinnern, dass der Umgang mit den Kindern auf dem Schulhof, teilweise aber auch im Klassenzimmer - was man damals sicher noch als Hand ausrutschen bezeichnet hätte. Sprich, dass tatsächlich eine Form von Gewalt gegenüber einem Mitschüler ausgeübt wurde. Und das ist, glaube ich, in dem Moment damals, als ich noch ein kleiner Junge in der Grundschule war, mir wahrscheinlich gar nicht so bewusst gewesen, wie wenig das okay ist. Aber später denkt man: Mensch selbst in meiner Kindheit noch war das offenbar ganz allgegenwärtig und wurde als irgendwie normal empfunden.

Ann-Kathrin Canjé: Ja, vielen Dank für diesen Einblick. Das hat sich jetzt zum Glück heute etwas verändert. Mittlerweile gibt es eben die UN-Kinderrechtskonvention und in diesem Jahr hat sogar ein Kind, die zwölfjährige Ella, genau zum Thema Kinderrechte gesprochenenn in einem Kommentar in den Tagesthemen. Das war übrigens auch erst das zweite Mal in der Geschichte der Tagesthemen, dass das ein Kind gemacht hat. Was bedeutet das denn für sie, dass ein Kind so einen Kommentar in den Tagesthemen spricht?

Christian Schneider: Ich habe den Kommentar von Ella tatsächlich gesehen und gehört und fand das, was sie gesagt hat großartig. Es hat mich sehr berührt und natürlich auch direkt ins Herz von jemandem getroffen, der lange für UNICEF und für die Kinderrechte tätig ist. Insofern war ihre Botschaft ganz, ganz wichtig. Und ich fand es toll, dass die Tagesthemen dem Raum gegeben haben. Der zweite Gedanke ist dann aber auch gleich: Warum finden wir beide das eigentlich immer noch so toll und ungewöhnlich, wenn mal ein junges Mädchen ein Kommentar in einem wichtigen deutschen Medium abgibt? Und ich würde mir natürlich wünschen, dass das genau etwas stärker Alltag wird. Also das wir die Stimme von Ella und anderen Kindern und Jugendlichen an prominenten und auch nicht so prominenten Plätzen öfter hören.

Ann-Kathrin Canjé: Ich habe da auch ganz unterschiedlichste Reaktionen auf Ellas Kommentar zum Beispiel in den sozialen Netzwerken vernommen. Sehr viel Lob und Wünsche auch nach mehr Kommentaren von Kindern, von Menschen, denen das vielleicht so ging wie Ihnen und mir. Die gesagt haben: Mensch, das ist doch super als Format. Aber eben auch vermehrt Kommentare, die der Meinung waren, Ella hätte den Kommentar gar nicht selbst geschrieben, wäre indoktriniert worden und so weiter. Warum stößt das in ihren Augen denn auf so viel Kritik, wenn ein Kind sich zum Beispiel durch diesen Kommentar für seine Rechte einsetzt?

Christian Schneider: Ja, das ist ganz interessant. Ich glaube, ein wesentlicher Gedanke der Kinderrechtskonvention ist ja, dass wir doch Kinder dank der Konvention als Subjekte, also als eigenständige Menschen mit nicht nur eigenen Rechten, sondern auch eigenen Beiträgen, wahrnehmen. Und man merkt glaube ich an den Kommentaren, wie ungewöhnlich diese Sichtweise im Alltag, selbst in Familien mit Kindern oder bei Entscheidern oder in Social Media ist. Und das zeigt auch, woran wir da noch arbeiten müssen. Also das einfach bewusst wird, das was Kinder sagen, hat erstens einen ganz eigenen Wert. Und zweitens ist es auch für die Erwachsenen, die zuhören, sehr, sehr sinnvoll.

Ann-Kathrin Canjé: Und Ella sagte in diesem Kommentar in den Tagesthemen auch: „Wenn ihr Fragen habt, fragt doch uns Kinder“. Und forderte Olaf Scholz auch auf, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Und sie setzen sich mit UNICEF zum Beispiel im Aktionsbündnis Kinderrechte genau dafür eben ein, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden. Um das erstmal kurz einzuordnen: Warum ist das denn eigentlich bisher noch nicht geschehen?

Christian Schneider: Zwei große Sorgen sind ausschlaggebend dafür, dass die Kinderrechte noch nicht im Grundgesetz stehen. Das eine ist, dass die Menschen Sorge haben, dass der Staat zu viel Einfluss auf die Familien nimmt. Und die zweite Sorge ist, dass die Rechte der Eltern beschnitten werden, wenn wir die Rechte der Kinder stärken. Und es ist gerade umgekehrt aus Sicht von UNICEF. Wir stärken all diejenigen, die sich für Kinder einsetzen möchten. Und ich glaube, es ist so, dass wir, wenn es um Normen und um grundlegende Dinge in der Gesellschaft geht, braucht man einen langen Atem. Das ist so. Die Kinderrechtskonvention ist zwar schon 30 Jahre alt, aber ich glaube, bis sich die Denkweise, die Philosophie dieser damals ja also wirklich revolutionären Kinderkonvention in einer Gesellschaft durchgesetzt hat, braucht es viele Dinge im Alltag. Aber es braucht eben auch gesetzliche Rahmenbedingungen. Das heißt, der Staat muss etwas tun. Ganz unabhängig davon ist es so, dass wir zwar Ella in den Tagesthemen gesehen haben, dass aber die Kinderrechte selbst als Rechte, als Gegenstand, mit dem man sich auseinandersetzen sollte, einfach immer noch nicht bekannt genug sind.

Ann-Kathrin Canjé: Warum wäre es denn Ihrer Ansicht nach wichtig, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz explizit aufgenommen werden?

Christian Schneider: Ich glaube und bin fest davon überzeugt, dass wir das bei sehr, sehr vielen Entscheidungen im Alltag, sowohl im Lokalen - also in jeder Kommune - merken würden. Wir würden es vor Gericht merken. Wir würden es bei politischen Entscheidungen merken, weil ja der wesentliche Grundgedanke der Konvention ist, dass die Belange der Kinder, die Sorgen der Kinder, ihre besonderen Bedürfnisse bei jeder Entscheidung, die sie betreffen, vorrangig berücksichtigt werden müssen. Das heißt, wir haben es ganz deutlich ja auch in der Situation der Pandemie gesehen. Wenn dann auch akut Gesetze geändert werden müssen, wenn Verordnungen erlassen werden, wann wo welche Maßnahme zum Schutz vor einem Virus getroffen werden, dann muss eben mit überlegt werden: was heißt das denn eigentlich für die Kinder? Ist diese Entscheidung wirklich im besten Interesse auch unserer Kinder und Jugendlichen. Das heißt, wenn wir die Kinderrechte als solche in das Grundgesetz aufnehmen würden, stärken wir eigentlich alle, die sich für das Wohl von Kindern einsetzen. Das fängt bei den Eltern an - die ja das Wohlergehen der Kinder nun wirklich im Blick haben müssen und sollen. Und der Staat nimmt sie ja auch dafür in die Verantwortung - und geht weiter über Lehrerinnen und Lehrer, über Personal in Kindertagesstätten, ja bis hin in die Politik.

Ann-Kathrin Canjé: Wenn wir noch einmal einen Moment bei den Kinderrechten bleiben, wie sie jetzt aktuell in der UN-Kinderrechtskonvention stehen. Wenn ich da zum Beispiel an die Schule denke und das Recht auf Bildung – gelten denn da für alle Kinder in Deutschland, jetzt zum Beispiel Kinder mit Migrationsgeschichte oder geflüchtete Kinder oder Kinder mit Behinderung, gelten für die alle dieselben Rechte?

Christian Schneider: Sie haben alle dieselben Rechte. Aber in der Realität sieht es natürlich ein wenig anders aus. Wir sehen, das zum Beispiel für geflüchtete Kinder, die ja auch nach der Kinderrechtskonvention und nach geltendem europäischem und deutschem Recht sofort Zugang zu Schulbildung haben sollten, manchmal etwas passiert, dass wir bei UNICEF in einer Studie „Kindheit im Wartezustand“ genannt haben. Das heißt, sie sind zum Beispiel in der großen Situation mit vielen geflüchteten Menschen 2015/2016 oft lange Zeit erstmal in großen Einrichtungen gewesen, hatten aber noch keinen Zugang zum öffentlichen Schulwesen in Deutschland. Zum Glück ist es jetzt für die Kinder, die aus der Ukraine zugekommen sind, in den letzten Monaten anders gewesen, dass sie doch sehr, sehr rasch in die Schulen aufgenommen werden konnten. Aber da sagt UNICEF natürlich, das muss für alle hierher flüchtenden Kinder gelten, weil es ein ganz grundlegendes Kinderrecht ist. Der zweite Punkt ist natürlich, dass wir doch auch in den Möglichkeiten, die Kinder in Deutschland haben, in der Schule ihr Potenzial wirklich zu entwickeln, es ganz, ganz große Unterschiede gibt, weil zur Schule ja mehr gehört, als nur den Platz in der Schule zu haben. Sondern auch die Förderung im Elternhaus, der Zugang zu Hilfsmitteln, der Zugang zu einem Laptop oder Tablet. So viele Dinge, die eben Kinder aus benachteiligten Familien doch eben auch hier deutlich benachteiligen.

Ann-Kathrin Canjé: Wir haben jetzt schon öfter über die UN-Kinderrechtskonvention gesprochen oder sie genannt. Deswegen an dieser Stelle ein kurzer Einschub und ein paar Hinweise rund um die UN-Kinderrechtskonvention. Sie wurde 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. An der Kinderrechtskonvention hatten die Vertreter*innen zehn Jahre gemeinsam gearbeitet, um mit der Konvention die speziellen Bedürfnisse und Interessen von Kindern zu betonen. In Deutschland galt sie dann erst ab 1992, also in diesem Jahr seit 30 Jahren und war hier bis 2010 mit Einschränkungen belegt. Die Kinderrechtskonvention der UN enthält 54 Artikel, die auf vier Grundprinzipien basieren: Nämlich ein Diskriminierungsverbot, dem Recht auf Leben und persönliche Entwicklung, dem Beteiligungsrecht und dem Vorrang des Kindeswohls. Bevor es weitergeht, habe ich mal eine Frage an Sie, die gerade zu hören. Hand aufs Herz - haben Sie schon mal die UN-Kinderrechtskonvention durchgelesen oder falls Sie Kinder haben, wissen sie um deren Rechte? Die Antwort werde ich jetzt nicht hören, aber Sie können die Frage ja mal mitnehmen. Ich habe in Vorbereitung auf das Gespräch mit Herrn Schneider zum ersten Mal alle Artikel durchgelesen und fand es doch sehr erhellend. Und habe mich auch gefragt, wie es denn um manche dieser Artikel in Deutschland überhaupt steht und das einfach gleich mal mit dem Experten besprochen.

Ann-Kathrin Canjé: Herr Schneider, ich habe mir aus dieser UN-Kinderrechtskonvention ein paar Punkte, beziehungsweise Artikel herausgegriffen, über die ich gerne einmal mit ihnen sprechen will. Ich würde die Artikel nennen und Sie bitten, einmal ganz kurz einzuordnen, auch wenn die sehr komplex sind, aber trotzdem so kurz wie möglich, wie wir da in Deutschland aktuell stehen. Und was es da in Zukunft braucht. Der erste Artikel ist Artikel zwölf - Berücksichtigung des Kindeswillens.

Christian Schneider: Ein für mich ganz wichtiger Artikel. Ich glaube, das Thema Partizipation, Kindern zuhören... da gibt es in Deutschland gerade in den Städten und Gemeinden einige gute Beispiele. Es gibt Kinderparlamente, es gibt Projekte, es gibt Bürgermeisterstunden mit Kindern und Jugendlichen und gute Projekte, bei denen sie städtebaulich einbezogen werden. Aber wir haben immer noch keine Beteiligung in der Fläche. Das heißt, es gibt keine Regel dafür, dass wirklich überall in Deutschland Kinder gehört werden und beteiligt, wirklich auch beteiligt und ernst genommen werden. Und auch auf der Bundesebene gibt es ja bislang weder eine spezielle Ombudsperson, einen Kinderbeauftragten, bei dem zum Beispiel die Belange von Kindern zusammengeführt werden könnten, noch eine reguläre Einbindung von Kindern in bundes- oder in landespolitische Entscheidungen. Also ein ganz wichtiger Artikel, ganz grundlegend und noch viel vor uns.

Ann-Kathrin Canjé: Und der nächste Artikel, das ist Artikel 15, den ich rausgegriffen habe, der heißt: Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Und dann möchte ich mal kurz den Punkt eins zitieren: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes an, sich frei mit anderen zusammenzuschließen und sich friedlich zu versammeln.“ Können Sie das mal für uns einordnen?

Christian Schneider: Ich glaube, da haben wir alle bei Fridays for Future gesehen wie wichtig dieses Recht auch ist. Und man darf, glaube ich, auch gut in der Debatte, die wir seinerzeit in vielen Kreisen der Gesellschaft hatten, ob die das denn wirklich dürfen oder ob die nun die Schule schwänzen, sagen, dass ist erstmal gar nicht die Entscheidung der Eltern oder der Lehrer oder der Öffentlichkeit, sondern erst einmal haben Kinder wirklich dieses Recht. Wenn Ihnen ein Thema wirklich unter den Nägeln brennt und sie dafür sich zusammenschließen möchten, dann haben Sie auch ein Recht darauf.

Ann-Kathrin Canjé: Und ich komme zum nächsten Artikel, den ich rausgesucht habe. Das ist der Artikel 17, den finde ich auch wichtig für mich persönlich als Medienschaffende und auch für die, die vielleicht zuhören. Das ist der Artikel - Zugang zu den Medien, Kinder und Jugendschutz. Der umfasst sehr viel, ich kann mal eins herausnehmen. Zum Beispiel, dass die Vertragsstaaten die Massenmedien ermutigen, Informationen und Material zu verbreiten, die für das Kind von sozialen und kulturellen Nutzen sind.

Christian Schneider: Also sind sowohl bei Ellas Kommentar in den Tagesthemen, aber wir sind natürlich auch bei dem tollen Auftrag, den KiKA und andere Medien haben, die sich eben wirklich gezielt an Kinder und Jugendliche wenden. Ich glaube, da kann man nur betonen, was für ein wichtiger Beitrag das auch im Sinne der Kinderrechtskonvention ist. Ich habe ja die Freude, schon eine ganze Reihe von Jahren auch die Arbeit von KiKA und einigen anderen Medien mit dem Thema „Kinderrechte“ zu begleiten. Und ich glaube, wir unterschätzen manchmal, wie beharrlich man eben auch über wirklich kindgerechte Formate - auch Formate, in denen wir mit Kindern und Jugendlichen die Inhalte erarbeiten - wir zur erstmal Bekanntmachung der Kinderrechte beitragen. Nur wenn Kinder überhaupt einmal von ihren Rechten gehört haben, können sie ja selbst für sich und für die Rechte anderer eintreten. Ja also, weiterer wichtiger Artikel.

Ann-Kathrin Canjé: Danke für die Einordnung und ich kann auch alle, die zuhören, mal ermuntern in die Artikel reinzulesen. Es ist sehr erhellend. Jetzt haben wir über die Konvention aus den 1980ern gesprochen, in der vieles steht, was heute noch Gültigkeit hat. Aber die Zeiten haben sich doch etwas geändert, und wir stehen vor vielen Herausforderungen. Und zukünftige Herausforderungen, das sind sicher auch die Kinderrechte im digitalen Raum. Ich glaube, mittlerweile kennen wir das ja auch selbst aus dem privaten. Sei es, dass die Kinder Fotos in WhatsApp-Familiengruppen oder doch auf Instagram. Die Kinder der Generation Alpha, die wachsen ja nicht nur komplett digital auf, sie finden eben auch digital statt. Ob sie das jetzt eben wollen oder nicht. Und da sind wir auch beim Thema Persönlichkeitsrechte von Kindern. Wie können denn Kinderrechte im digitalen Raum gewahrt werden? Welche Regelung braucht es dann ihren Augen?

Christian Schneider: Ja, tatsächlich ist ja auch dieses Thema, nämlich der Schutz der Privatsphäre der Kinder und insgesamt der Schutz der Kinder schon in der Kinderrechtskonvention angelegt. Also auch bei dem wirklich dringenden Thema können wir uns anlehnen. Ich glaube angesichts der superschnellen Entwicklung der digitalen Medien, einschließlich der sozialen Medien, ist es schwierig, grundlegende Regeln und Schutzmechanismen schon vorausschauend für alle diese Medien aufzubauen. Trotzdem muss man natürlich da, wo wir bestimmte Medien haben, die die Schutzmöglichkeiten, die sich technologisch bieten, auch nutzen. Sowohl in den Familien, aber auch auf der Seite der Provider, der Dienste, die sie anbieten. Und da muss auch der Gesetzgeber tätig werden. Ich glaube, das Bewusstsein ist gewachsen. Was für mich aber mindestens genauso wichtig ist, ist die Stärkung der Kinder und Jugendlichen in den Familien und auch durch die Schule für den Umgang mit den Medien. Das heißt die Medienkompetenz, auch das Bewusstsein um die wichtigen Schutzrechte, wenn sich die Kinder im Internet bewegen etc. zu stärken. Kinder vertraut zu machen, auch mit den sowohl technologischen Schutzmechanismen, aber auch das Gefühl dafür, deutlich zu machen, wann ein Foto vielleicht noch geteilt werden kann. Aber wann es mindestens nicht mehr okay ist und nicht geteilt werden sollte. Da kann man, glaube ich, noch ganz viel tun.

Ann-Kathrin Canjé: Jetzt haben wir schon gesagt, was es braucht. Schauen wir noch mal kurz auf den Status quo. Mit was für digitalen Problemen, sage ich mal, sind Kinder aus ihrer Erfahrung denn aktuell am meisten konfrontiert? Welche Rechte werden da verletzt?

Christian Schneider: Der Schutz vor sexualisierter Gewalt im Internet - ein sehr, sehr zentrales Thema, das steht außer Frage. Ich glaube aber, dass das ganze Thema, was man so vielleicht manchmal sogar etwas abtut, in der Erwachsenenwelt unter Hate Speech... also das Thema, wie Kinder und Jugendliche miteinander umgehen, wie sie sich selbst eben auch durch Posts, die online gestellt werden oder durch Fotos, wie gerade besprochen, sich selbst Gewalt antun, Kinder ausgegrenzt werden. Das ist, glaube ich, ein sehr, sehr großes, einfach auch ein massiv verbreitetes Feld. Was vielleicht aus der Sicht der Erwachsenen noch ein bisschen unterbelichtet ist, finde ich aber absolut zentral.

Ann-Kathrin Canjé: Da sind dann da vielleicht auf jeden Fall wieder die Erwachsenen gefragt, zu unterstützen und aufzuklären. Wir haben jetzt über die UN-Kinderrechtskonvention gesprochen, was es für die Kinder braucht. Und wir tun das ja als Erwachsene und können Sie mal einen Einblick geben, inwiefern Kinder aktuell überhaupt miteinbezogen werden, wenn es um Kinderrechte geht?

Christian Schneider: Also wir versuchen das bei UNICEF selbst sehr stark, den Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben. Deswegen haben wir zum Beispiel schon im letzten Jahr eine große Aktion unter dem Titel #GenZukunft gestartet. Da haben wir, ich glaube, über 3 Millionen Jugendliche in Deutschland erreicht, von denen sehr viele UNICEF dann mitgeteilt haben, was ihnen eigentlich an Themen wichtig ist. Wir haben aus dieser Aktion ganz, ganz wesentliche Gedankenstränge und zentrale Forderungen von Jugendlichen gewonnen. Es sind drei sehr klare Dinge. Ich fand sehr interessant, weil wir ja auch schon über Fridays for Future und das Recht auf Versammlungsfreiheit und so weiter gesprochen haben, dass doch viele Jugendliche dennoch das Gefühl haben, dass Politik und auch die Wirtschaft, die Gesellschaft insgesamt ihre Zukunftsängste nicht ernst genug nehmen. Also so ein bisschen das Gefühl, dass zwar gesehen und mitbekommen wird, dass zum Beispiel das Thema Klimawandel wichtig ist und dass sie dafür auf die Straße gegangen sind, aber letztlich dann doch wieder nichts passiert. Das zweite, das passt zu vielen meiner Erfahrungen im Gesprächen mit Jugendlichen, auch mit denen, die sich bei uns engagieren, ist ein großes Bewusstsein der Jugendlichen, kann man glaube ich sagen in Deutschland, für soziale Gerechtigkeit. Ich habe es gerade heute wieder mit den Jugendlichen aus unserem Juniorbeirat bei UNICEF gehört, dass das Thema soziale Gerechtigkeit, gleiche Chancen für Kinder, soziale Teilhabe - das treibt die Jugendlichen sehr, sehr stark um. Dieses Gerechtigkeitsempfinden, was ich natürlich auch großartig finde, ist sehr stark in der Generation. Und das adressieren sie, das ist eine ihrer wichtigsten Botschaften, „schafft endlich gleiche Chancen für alle Kinder und Jugendlichen“. Da wurden aber auch Themen genannt, die ihnen ganz besonders wichtig sind. Zum Beispiel das Thema Rassismus. Das ist so etwas, was die die Jugendlichen sehr stark wahrnehmen. Was sie, wenn sie miteinander sprechen, sehr beschäftigt. Wo aber aus ihrer Sicht, obwohl es in Deutschland so ein super zentrales Thema ist und auch sein sollte, zu wenig gehandelt wird, zu wenig Präventionsarbeit geleistet wird und sich zu wenig um Themen wie Respekt und Gemeinschaft in der Gesellschaft gekümmert wird. Und das dritte Thema, das passt ein bisschen zum ersten. Da kann man die Kurzformel sagen: Hört auf, die Verantwortung immer wegzuschieben.

Ann-Kathrin Canjé: Übrigens, Herr Schneider hat mir im Gespräch erzählt, dass dieser Hashtag #GenZukunft mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam entwickelt wurde und dass er an der Bezeichnung „Generation Alpha“ so seine Zweifel hat, ob Kinder und Jugendliche den eigentlich für sich selbst wählen würden. Er hat mir von einem Erlebnis erzählt, als er bei einem Besuch in der Nachbarschaft Syrien mit Kindern und Jugendlichen auf der Flucht gesprochen hat, die mitbekommen haben wie er selbst davon gesprochen habe, dass eine verlorene Generation drohe. Und diese Kinder sollen dann gesagt haben: Wir wollen keine verlorene Generation sein. Wir wollen eine Chancen-Generation sein. Also Christian Schneider hat nochmal darauf hingewiesen, dass es sich lohnt, einmal mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, wie sie sich eigentlich selbst nennen würden. Und die Aktion von UNICEF zeigt ja wirklich interessante Perspektiven, die die Kinder bei #GenZukunft eingebracht haben. Auch Themen wie zum Beispiel Klimawandel oder Diversität, die wir hier im Podcast schon mit Gäst*innen wie Luisa Neubauer besprochen haben. Wir verlinken ihn Infos zu #GenZukunft auch nochmal im KiKA Kommunikationsportal.

Ann-Kathrin Canjé: Jetzt haben sie schon erzählt, wie sie das bei UNICEF machen und Kinder mit einbeziehen. Welche Möglichkeiten oder Instrumente sehen Sie denn noch auf anderen Ebenen, Kinder mehr miteinzubeziehen, wenn es um ihre Rechte geht?

Christian Schneider: Der Landeskinderbeauftragte, denen es in einigen Ländern gibt, in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, ist als Ergebnis der neuen Regierungsbildung hier auch wieder als Idee aufgetaucht. Das ist natürlich in dem Fall kein Jugendlicher, sondern vermutlich am Ende ein Erwachsener, der aber dann die Aufgabe hat, sozusagen das Ohr für die Kinder und Jugendlichen im Land zu sein und darüber dann auch Bericht zu erstatten. Das was er von Jugendlichen und Kindern hört, in die Politik und in die Ministerien zu tragen. Das halten wir schon für ein sehr wichtiges Mittel, genauso wie einen Beauftragten auf Bundesebene. Solche Beauftragte gibt es ja zu verschiedenen Themen und wir finden schon, dass es den Sorgen und Belangen von Kindern und Jugendlichen guttun würde, so eine kräftige Stimme auf Bundesebene zu haben. Ähnliches kann man sich aber auch auf lokaler Ebene in Städten und Gemeinden vorstellen. Dass man dann einfach eine auch bekanntgemachte Instanz oder Institution hat, bei der auch Kinder und Jugendliche wissen, der kann ich schreiben, da kann ich anrufen, kann eine Mail oder irgendeine Nachricht schicken. Und das wird dann auch gehört und fließt ein in das, was an die Politik formuliert wird.

Ann-Kathrin Canjé: Daran aber noch mal angeschlossen die Frage: Wie kann man denn auch heute und vor allem in Zukunft Kinder für ihre Rechte sensibilisieren? Wir haben es schon angesprochen, aber was braucht es da nochmal an Aufklärungsarbeit?

Christian Schneider: Ich glaube, wir können erstens nicht früh genug anfangen. Also ich denke gerade, dass wir zum Beispiel schon in dem Kindergarten, in der Kindertagesstätte beginnen sollten, nicht nur über Kinderrechte zu sprechen, sondern auch Kinderrechte zu leben. Das heißt auch da mit den ganz jungen Kindern schon anzufangen, Grundgedanken der Kinderrechte - wir hatten über Nichtdiskriminierung gesprochen, über gleiche Chancen, über den Umgang auch miteinander, indem man ja achtsam mit den anderen Kindern umgeht und sie schützt. Das kann man natürlich auch schon im Kindergarten beginnen zu lernen. Das heißt, wir müssten mit dem Personal in Kindergarten und Kitas auch schon in der Ausbildung über Kinderrechte sprechen, damit ihnen das bewusst ist. Es geht dann über die Schulen weiter. Wir haben zum Beispiel ein Programm „Kinderrechteschulen“ gestartet, wo es darum geht, wirklich mit einer klaren Entscheidung der Schule – das ist eigentlich ein Schulentwicklungsprogramm - Kinderrechte in den Alltag der Schule zu holen. Darüber zu informieren, aber eben auch ganz starke Wege zu finden, Kinder stärker am Programm der Schule zu beteiligen. Wo uns dann Eltern und Lehrer*innen oft schon gesagt haben: Schulalltag verändert sich einfach dadurch. Wir sehen eben, dass daraus dann auch junge Bürgerinnen und Bürger werden, die eine ganz tolle Antenne haben, auch für die Rechte und für die Nöte anderer Menschen.

Ann-Kathrin Canjé: Welche Rolle kann KiKA denn da auch aus ihrer Sicht einnehmen in Sachen Aufklärungsarbeit über Kinderrechte?

Christian Schneider: Also KiKA hat da schon eine ganz wichtige Rolle, indem die Kinder selbst bei KiKA ja ganz zentrale Protagonist*innen sind, im Programm sind und auch die Kinderrechte als Rechte immer wieder thematisiert werden. Ich glaube, da gibt es nicht viele Medien in Deutschland, die das jetzt schon über so eine lange Strecke auch gemeinsam mit uns bei UNICEF und anderen Kinderrechtsorganisationen tun. Also ganz wichtiger öffentlicher Auftrag, den KiKA, finde ich, im Programm ganz, ganz wunderbar erfüllt, auch sehr kreativ.

Ann-Kathrin Canjé: Hier hake ich kurz nochmal ein, einfach um mal ein paar Beispiele zu nennen, die KiKA bisher und auch zukünftig realisiert hat und realisieren wird. Es gibt regelmäßige Schwerpunkte, zum Beispiel unter dem Titel „Respekt für meine Rechte“, die sich mit den Kinderrechten ganz praktisch auseinandersetzen. Kinderrechte werden auch in verschiedenen Formaten erklärt, zum Beispiel beim „Checker Tobi“. Und es gibt den „KiKA Award“, bei dem zum Beispiel in der Kategorie „Kinder für Kinder“ engagierte Kinder ausgezeichnet werden. Abseits des Programms arbeitet KiKA in diesem Jahr in einer Kinderrechtebroschüre des Bundesfamilienministeriums mit, die dann auf KiKA und die Kinderrechteinhalte verweist. Wir verlinken diese ganzen Inhalte auch noch mal auf unserem Portal. Weiter geht es im Gespräch. In Bezug auf Kinderrechte wollte ich von Christian Schneider noch wissen, wie es um die denn eigentlich zu Beginn und während der Corona-Pandemie bestellt war.

Christian Schneider: Erstmal standen sie überhaupt nicht im Licht der Öffentlichkeit, weil den Kindern nicht unsere große Sorge galt. Das heißt, wir haben in Deutschland länger als in vielen anderen auch europäischen Ländern die Schulen geschlossen, weil wir um andere Menschen Sorgen hatten. Und die Kinder und Jugendlichen haben einen ganz wichtigen Ort für ihr soziales Beisammensein für lange Zeit verloren. Das hat die Probleme, gerade von Kindern und Jugendlichen, die es auch zu Hause nicht leicht haben, bei denen zum Beispiel Gewalt in der Familie vorkommt, bei denen auch die Eltern unter dem Druck der Pandemie noch mehr Probleme hatten, sicherlich verschärft, auch wenn wir dazu bislang kein Zahlenmaterial haben. Es ist einfach so, dass es für die Kinder, die es ohnehin schon schwerer haben in Deutschland das Leben dann noch schwerer wurde. Wenn ich an das Thema materielle Kinderarmut denke, wenn ich an die große Zahl von Kindern eben mit Depressionen oder anderen psychischen Belastungsstörungen denke und viele andere Herausforderungen, dass die sich noch mal verschärft haben. Ich kann rückblickend, wenn man auf das Jahr 2019 zurückschaut, natürlich nachvollziehen, das die politischen Entscheidungsträger*innen unter großem Druck standen, die richtigen Dinge zu tun, auch besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen zu schützen. Ich denke vor allem da an die älteren Menschen. Dass aber, wenn die Kinderrechte bekannter wären und wir schon klare Strukturen und Mechanismen hätten, Kinder und Jugendliche eben dann auch anzuhören, die Bedürfnisse der Kinder sichtbarer geworden wären.

Ann-Kathrin Canjé: Sie sagten das gerade schon - Die Corona-Pandemie hat für Kinder und Jugendliche vieles verschärft und verschlimmert. Also sie sagten auch psychische Probleme, Bedarf an Psychotherapie, was sich ebenfalls verschärft hat und sie angedeutet haben, das ist das Kinderarmutsproblem. Laut aktuellen Zahlen ist ja jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut bedroht. Warum ist denn Kinderarmut in Deutschland im Jahr 2022 noch so ein großes Thema?

Christian Schneider: Wir haben die Zeiten, in denen es in Deutschland wirtschaftlich über eine lange Strecke sehr gut ging, die Ressourcen da waren, diese Zeit aus Sicht von UNICEF nicht ausreichend genutzt, mit wirklich ganz gezielten Maßnahmen für die besonders benachteiligten Kinder. Und wir wissen, wo diese Kinder sind und in welchen Bevölkerungsgruppen sie sind. Um wirklich dar gezielt anzusetzen, um die Zahl der von Armut betroffenen Kinder deutlich zu senken. Das heißt, es ist so, dass die Zahl der von materieller Kinderarmut betroffenen Kinder in den letzten Jahren nicht mehr gestiegen ist. Ich finde aber sie ist nach wie vor auf einem Niveau, das Kinderrechte verletzt und das in einem so wohlhabenden Land wie Deutschland es nach wie vor ist, nicht geschehen sollte. Das heißt, gezielterer Blick auf die Kinder, die wirklich Unterstützung brauchen. Das sind ganz besonders natürlich Kinder von alleinerziehenden Elternteilen, auch viele Kinder mit einer Einwanderungsgeschichte. Wir wissen, dass sie einfach ein erhöhtes Armutsrisiko haben. Und dort müssen auch die politischen Maßnahmen ansetzen.

Ann-Kathrin Canjé: Viele Gedanken, die schon sehr Richtung „Zukunft lenken“ über die wir jetzt gesprochen haben. Und wenn wir jetzt nochmal konkret auf die Zukunft der Generation Alpha schauen und die Kinderrechte: Welche Vision haben Sie denn da für die Generation Alpha?

Christian Schneider: Ja, ich wundere mich manchmal, dass wir den Zustand unserer Gesellschaft und damit auch die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft immer noch mit Indikatoren messen, die eigentlich auch schon ganz alt sind und Realität nicht mehr abbilden. Also reine Dinge wie das Wirtschaftswachstum, Inflationsrate, Arbeitsmarktzahlen. Ich glaube mit diesen Parametern versuchen wir immer wieder zu greifen, wie es Deutschland eigentlich geht. Und ich würde mir wünschen, dass wir es schaffen, in den nächsten Jahren wirklich das Wohlergehen der Kinder in unserem Land zum Maßstab zu machen und versuchen herauszufinden, dass, wenn es den Kindern im eigenen Land und auch weltweit gut geht, es auch der ganzen Gesellschaft besser geht. Also mir geht es wirklich darum, dass das Leben der Kinder, das Wohlergehen der Kinder so sehr im Blick ist, dass es der ganzen Gesellschaft wichtig ist und alle in der Gesellschaft merken, dass alle was davon haben.

Ann-Kathrin Canjé: Was braucht es, damit dieser Wunsch dann auch in Erfüllung geht? Was können wir da als Gesellschaft vielleicht auch tun oder was kann KiKA zum Beispiel tun?

Christian Schneider: Es braucht einerseits politischen Willen und auch politischen Mut, diese in Deutschland etwas zu kleine Gruppe der Kinder und Jugendlichen, die ja in Deutschland eher in der Minderheit sind, wirklich ins Zentrum zu stellen und politische Entscheidungen zu treffen. Das bringt mich wieder auf das Thema Kinderrechte ins Grundgesetz. Das würde einiges ändern. Was im Grundgesetz steht, ist dann aber ja für jede Bürgerin und jeden Bürger in Deutschland wichtig. Das heißt für die Redakteurin, die entscheidet, was auf KiKA läuft oder was in den Tagesthemen gesendet wird. Genauso wie für die Lehrerinnen und den Lehrer, wie für die Bürgermeisterin, die vielleicht in der nächsten Woche eine wichtige Entscheidung über die großen Ausgaben ihrer Kommune treffen muss. Und die Frage, ob nun statt für Spielplätze in ein anderes Bauvorhaben investiert wird.

Ann-Kathrin Canjé: Also ganz konkrete Maßnahmen treffen. Ein gutes Stichwort, weil wir am Ende dieses Podcasts unsere Gäst*innen immer nach einer ganz konkreten Maßnahme fragen, die sie persönlich sofort umsetzen würden für die Generation Alpha. Was wäre denn das bei Ihnen, Herr Schneider?

Christian Schneider: Ich würde mir wünschen, dass wir uns mit den wesentlichen Politikerinnen und Politikern, den Bundeskanzler eingeschlossen, vielleicht auch jüngeren Expertinnen und Experten, die genau wissen, was ihnen wichtig ist für einige Tage einschließen und die bestmögliche Formulierung finden, wie die Kinderrechte im Grundgesetz verankert sind. Und uns über die Parteigrenzen hinweg einfach darauf verständigen, was für die Kinder da wichtig sein sollte.

Ann-Kathrin Canjé: Also es bleibt spannend, ob die Kinderrechte und also ihre gedachte Maßnahme dann in naher Zukunft es ins Grundgesetz schaffen. Ja, und damit kommen wir auch schon zum Schluss mit dieser Maßnahme. Herr Schneider, haben Sie vielen Dank für das anregende Gespräch und ihre Zeit.

Christian Schneider: Vielen, vielen Dank.

Ann-Kathrin Canjé: Schon wieder eine Folge um und ich weiß natürlich nicht, wie es Ihnen geht, aber nach all den Gesprächen, die ich im Podcast schon so geführt habe, fand ich, dass diese Folge noch mal so richtig schön die Themen abrundet, die wir hier besprochen haben. Denn hinter all den Themen - sei es Medienbildung, Klimaschutz, Diversität oder Geschlechtergerechtigkeit - da steht etwas ganz Zentrales: Kinderrechte. Ich habe schon gesagt und ich wiederhole es gerne nochmal. Ein Blick in die UN-Kinderrechtskonvention lohnt sich. Vielleicht auch gemeinsam mit den Kindern aus dem eigenen Umfeld. Schön, dass Sie auch bei dieser Podcast-Folge mit dabei waren, schalten Sie gerne wieder ein. Jeden zweiten Mittwoch begrüßen neben mir, Ann-Kathrin Canjé, an dieser Stelle mein Kollege Daniel Fiene oder meine Kollegin Inka Kiwit sie zu einer neuen Episode. Die finden Sie neben der ARD-Audiothek oder dem KiKA Kommunikationsportal auch auf weiteren Podcast-Plattform. Ich freue mich auf Sie. Tschüss und bis zum nächsten Mal.

[Outro] „Generation Alpha - Der KiKA-Podcast“

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