Demokratie

Schule ist wahnsinnig undemokratisch

In einer Demokratie leben heißt auch: Kinder sollten mitwirken und gestalten können. So sieht es der Bildungsreporter Bent Freiwald. Doch wenn es um die Möglichkeiten für Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen geht, gibt es seiner Meinung nach noch viel Luft nach oben – sowohl in der Schule als auch in den Medien.

Kinder und Jugendliche sollten lernen, was es bedeutet, dass die eigene Stimme zählt.

Wie definierst du den großen Begriff Demokratie für dich ganz persönlich?

Demokratie ist für mich, wenn alle mitmachen können, und es aber auch einfach ist, mitzumachen. Was ich damit meine, ist: In vielen Gesellschaften ist es total schwer, sich an politischen Entscheidungen zu beteiligen, wenn man überhaupt gelassen wird. Also, beides ist total wichtig – man muss gelassen werden, und es muss auch noch einfach sein.

Dann lass uns doch noch mal auf die Kita oder Schule blicken. Warum sind diese Orte aus deiner Sicht wichtig für Demokratiebildung?

Ich glaube, Kitas und Schulen sind mit die wichtigsten Orte für Demokratiebildung, zumindest bis man so 16 bis 18 Jahre ist. Es sind ja die Orte, an denen Kinder und Jugendliche total viel Zeit verbringen, jeden Tag sechs, sieben, acht Stunden, bei Ganztagsschulen vielleicht sogar mehr. Und bis auf die Familie – das sage ich mal in Anführungszeichen – sind Kita und Schule die erste richtige „Gesellschaftsform“, in der wir leben. Da ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche schon lernen, was es bedeutet, dass die eigene Stimme etwas zählt, und dass man mitbestimmen kann.

Sind Schulen in deinen Augen denn Orte, an denen Kinder lernen, was eine Demokratie ist, und wie man in ihr teilhaben kann?

Nein, auf keinen Fall. In den meisten Schulen gibt es ganz klare Hierarchien. Die Lehrkraft entscheidet, was passiert. Oder wann wurdest du das letzte Mal – besser, wann wurdest du überhaupt in der Schule mal gefragt, was du lernen willst, wann du das lernen willst und wie du lernen willst? Das passiert quasi nie, da bestimmen die Schüler*innen meistens nicht mit. Ich glaube, das ist ein Problem. Schule ist wahnsinnig undemokratisch.

Es gibt doch Schüler*innen-Vertretungen …?

Ja, bei den meisten Schulen gibt es zwar eine Schüler* innenvertretung, aber die ist echt eine Alibiveranstaltung. Das sind meistens privilegierte und vor allen Dingen sehr, sehr wenige Kinder und Jugendliche, die da für die ganze Schule quasi stellvertretend lernen, was es bedeutet, dass man eine Stimme hat. Es geht aber nicht darum, dass das fünf Leute lernen, sondern es geht darum, dass alle Schüler*innen in der Schule das lernen. Meiner Meinung nach ist die Schüler* innenvertretung zwar irgendwie eine ganz witzige, nette Idee, gut gemeint, aber das sorgt dafür, dass wir wieder ein totales Gefälle zwischen denen haben, die sich engagieren und denen, die sich nicht engagieren können oder wollen. Ich würde mir wünschen, dass es zukünftig nicht mehr von der Lust und Laune der Erwachsenen abhängt, ob Kinder und Jugendliche in der Schule beteiligt werden, sondern dass es strukturell verankert ist.

Welche Rolle spielt das Thema Demokratiebildung denn bei der Ausbildung von Lehrkräften?

Ein Kollege von mir wird gerade Lehrer oder ist jetzt Lehrer, und er hat beschrieben, wie er ausgebildet wurde und dass er auch nie innerhalb dieser Ausbildung an den Entscheidungsprozessen beteiligt wurde. Also das, was Schüler*innen in der Schule erleben, das hat er in seiner Ausbildung auch erlebt. Er hat sich dann gefragt: Ja, wie soll ich das eigentlich Kindern beibringen, wenn es mir selbst nie beigebracht wurde?

Aber mit den „Fridays for Future“-Demonstrationen haben die Kinder und Jugendliche doch ziemlich eindrücklich Gebrauch von politischer Teilhabe gemacht…

Die Jugendlichen bringen sich schon ein, obwohl es ihnen wirklich schwer gemacht wird. Aber wir Erwachsenen kriegen es nicht hin, dass Beteiligung einfach sein muss. Man sieht es an „Fridays for Future“ und anderen Demonstrationen: Die Kinder und Jugendlichen erkämpfen sich das. Sie haben angefangen zu streiken. Und das hat damals einen Riesenstreit nach sich gezogen, weil Erwachsene meinen: Das geht doch nicht. Wie können denn Jugendliche freitags nicht mehr in die Schule gehen? Das ist eine sehr politische junge Generation, die wir haben. Die Stimme, die ihnen nicht gegeben wird, die nehmen sie sich halt selbst. Das finde ich sehr hoffnungsstiftend.

Welche Rolle spielen die Medien, wenn es um das Demokratieverständnis junger Menschen geht?

Das ist gar nicht so anders als bei Erwachsenen. Die Medien haben viel Einfluss auf das, was in der Demokratie passiert. Und ich glaube auch, dass sie eine besondere Verantwortung haben. Jetzt vielleicht noch mehr als in den letzten Jahrzehnten. Einfach auch deshalb, weil sich die Medienlandschaft dadurch radikal verändert hat.

Durch das Internet und Social Media?

Ja, der Fernseher wird von vielen Kindern und Jugendlichen kaum noch genutzt. Das heißt, man muss auch einfach zu den Orten gehen, wo Jugendliche und Kinder rumhängen. Und das machen die Öffentlich-Rechtlichen teilweise schon richtig gut. Wenn ich an Formate wie funk denke, die dann zu Instagram, TikTok oder zu YouTube gehen, und dort das machen, was die Jugendlichen interessiert. Und nicht das, was Erwachsene glauben, dass es Jugendliche interessiert. Ich glaube, eine der wichtigsten Aufgaben ist vielleicht Vertrauen durch Transparenz.

Was meinst du damit?

Es gibt auch Kinder und Jugendliche, die den Ö!entlich- Rechtlichen misstrauen, weil sie meinen, das sei Staatspropaganda oder so. Die Medien müssen es hinkriegen, ihr Vertrauen aufzubauen und über das zu informieren, was in der Welt passiert, was in Deutschland passiert, und wenn sie dabei transparent sind und die Jugendlichen merken: Die Medien haben hier eine ganz entscheidende Aufgabe in dieser Demokratie und ich kann mich dort informieren, ohne die ganze Zeit das Gefühl zu haben, ich werde hier verarscht – das wäre, glaube ich, wichtig.

Was können die öffentlich-rechtlichen Medien tun, um den Kindern mehr Mitspracherecht zu ermöglichen?

Eine Hauptaufgabe von Medien und auch der Gesellschaft wird es sein, dass wir den Adultismus ablegen. Also, dass wir Erwachsenen die Kinder und Jugendlichen ernst nehmen. Ein Schritt dahin ist, dass Kinder und Jugendliche nicht nur in Kinderkanälen und Kindernachrichten auftauchen, sondern überall. Sie sind Teil unserer Gesellschaft, tauchen aber gleichzeitig – wenn wir uns Medien angucken, die nicht für Kinder gemacht sind – selten auf. Wie oft sitzt ein Kind oder ein Jugendlicher in einer Talkshow, dem Format, das sich Erwachsene oft abends reinziehen und das unglaublich hohe Einschaltquoten hat? Da sind Kinder fast nie vertreten.

Wenn du morgen eine Maßnahme für die Generation Alpha umsetzen könntest in Sachen Demokratie – was wäre das?

Ich würde das Wahlalter senken und zwar sofort. Ich glaube, das ist die eine Sache, die am meisten Einfluss hätte, auf alle möglichen Leute, auf die Kinder selbst, aber auch auf die Politik.

Bent Freiwald ist Bildungsreporter für das Onlinemagazin Krautreporter und studierte zuvor Kognitionswissenschaften in Osnabrück und Riga. Für seine Reportagen ist er in ganz Deutschland unterwegs und berichtet über die Lebensrealitäten von Kindern und Jugendlichen.