Neue Formate
Kein Mensch braucht Einheitsbrei im Netz
Wie werden junge Menschen künftig die Medienangebote nutzen? Das fragt sich auch Philipp Schild, der Programmgeschäftsführer von funk, dem jungen Content-Netzwerk von ARD und ZDF. Kinder der jetzt heranwachsenden Generation Alpha stehen „quasi schon an unserer Türschwelle“, sagt er im Gespräch mit Dr. Astrid Plenk. Beide sind sich einig: Künftig müssen Medienunternehmen sich so aufstellen, dass sie hochgradig agil sind und schnell auf neue Strömungen und Themen reagieren können.
Kinder von heute wachsen von klein auf mit mobilen Medien auf, und das wird auf den Medienmarkt der Zukunft einen großen Einfluss haben, glaubt Philipp Schild. Aus seiner Sicht ist es kein Zufall, dass viele Medientrends derzeit aus Fernost kommen, denn „wenn wir uns mal den chinesischen Markt anschauen, findet dort die Medien- und Internetnutzung bei rund 80 % der gesamten Bevölkerung bereits über mobile Endgeräte statt.“ Ein Trend, der sich auch hierzulande immer mehr durchsetzt. Hochkant-Videos und kürzere Videos sind auch bei uns deutlich auf dem Vormarsch, „und das ändert natürlich das Mediennutzungsverhalten von den jüngsten Zielgruppen, die wir haben, sehr stark.“ Diese Entwicklung führe allerdings im Umkehrschluss nicht dazu, dass andere Formate künftig nicht mehr funktionieren. „Ich würde eher sagen, dass es eine Präferenz in jungen Zielgruppen gibt, auch Short-Form-Videos zu nutzen, und es gibt auch weiterhin Bedarf für lange Videos. Zumindest sehen wir das bei uns im Netzwerk so“, sagt Philipp Schild. Astrid Plenk hat vor allem die Drei- bis 13-Jährigen im Blick. Auch diese Zielgruppe nutzt ihre Medienzeit deutlich vielfältiger als noch vor einigen Jahren, beobachtet die KiKA-Programmgeschäftsführerin. „Auf unserem Nutzungsmonitor sehen wir, dass kurze Videos auch von den Jüngsten schon häufig auf dem Smartphone angeschaut werden. Serien und Spielfilme konsumieren Kinder aber nach wie vor deutlich lieber über den Fernseher mit einem großen Screen.“ Dass mobile Geräte wie Tablets und das Handy bereits bei den Jüngsten schon sehr präsent sind, liege natürlich auch daran, dass junge Eltern Medien heute anders nutzen als die Eltern der vorhergehenden Generation Z.
Für die Programmplanung von KiKA und funk hat all das weitreichende Folgen. „Wenn wir Kinder und Jugendliche auch morgen noch erreichen wollen, müssen wir mehr als bisher von den Präferenzen unserer Zielgruppen aus denken, oder besser gesagt von den Präferenzen der jeweiligen Teilzielgruppen. Wir müssen vor allem im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer agieren“, sagt Astrid Plenk. „Für mich ist die größte Erkenntnis, wie unterschiedlich Zielgruppen sein können, auch innerhalb eines bestimmten Altersspektrums“, betont Philipp Schild. Das müssen sich die Programmverantwortlichen immer wieder klarmachen. Wenn man zu breit in die Formatierung geht, vertut man als Programmanbieter damit die Chance, auch die zu erreichen, die man eigentlich ansprechen will. „Denn mal ganz ehrlich: Kein Mensch braucht irgendeinen Einheitsbrei im Netz“, sagt Philipp Schild.
„Du willst etwas, was Charakter hat, was lebt, was für eine Zielgruppe gemacht ist, die das wirklich feiert.“
Das Umdenken hat bei KiKA und funk bereits stattgefunden. Beide Häuser verstehen sich weniger als Sender im klassischen Sinne, sondern als crossmediale Content-Anbieter von ARD und ZDF. Während die Programme von KiKA sowohl linear zu sehen und auch über den KiKA-Player, kika.de, die Mediatheken von ARD und ZDF oder auch über YouTube abgerufen werden können, verbreitet funk seine Formate vor allem über die Sozialen Medien, die Mediatheken von ARD und ZDF und funk.net. Dort gibt es für die Kernzielgruppe der 14- bis 29-Jährigen über 60 verschiedene funk-Kanäle im Angebot.
Was beide Anbieter eint: „Die Zielgruppen, die funk und KiKA im Visier haben, sind extrem agil“, sagt Philipp Schild. „Es ist wichtig, dass wir diese Agilität auch auf unsere tägliche Arbeit übertragen.“ Eine Voraussetzung dafür sei, dass die Strukturen in den Häusern diese neue und agile Arbeitsweise nicht behindern, sondern eher befördern sollen.
Um ihrem Auftrag gerecht zu werden, müssen insbesondere die öffentlich-rechtlichen Anbieter dort präsent sein, wo ihre Zielgruppen sind. Schon jetzt trage das Internet bei Kindern und Jugendlichen bereits stark zu ihrer Meinungsbildung bei. „Wir sollten es uns zur Aufgabe machen, den Prozess ihrer individuellen und gesellschaftlichen Meinungsbildung gut zu begleiten und ihnen dort Informationen und die Grundlagen bereitzustellen, an denen sie sich orientieren können“, sagt Philipp Schild. Doch um da hinzukommen, müssten auch bei funk und KiKA erst einmal auch die technischen Voraussetzungen geschaffen und das Know-how erarbeitet werden. Noch stärker als bisher werden in Zukunft Algorithmen darüber entscheiden, was welche Gruppen erreicht. „Ich glaube, dafür müssen wir einfach unfassbar fit sein und Techniken auch gut verstehen.“
Schnell sehen, wenn sich Empörungswellen anbahnen
Als gutes Beispiel für die Entwicklung technischer Qualifikation gilt bei funk eine selbst entwickelte Software, die mit einer 93-prozentigen Vorhersage-Wahrscheinlichkeit erkennen kann, ob Kommentare auf einzelne Beiträge positiv oder negativ ausfallen. „Wir kriegen hunderttausende Kommentare im Monat. Das kann man zentral überhaupt nicht mehr überblicken und erfassen“, so Philipp Schild. Doch mithilfe dieser Technik könne das funk-Netzwerk jetzt frühzeitig erkennen, an welchen Stellen negative Diskurse entstehen, sich ganz schnell darauf konzentrieren und auf eine Empörungswelle besser eingehen und individuell und zielgerichtet reagieren.
Die individuelle Ansprache ihrer Zielgruppen ist derzeit auch bei KiKA ein großes Thema. „Wir haben uns intensiv mit der sogenannten ‚Persona‘-Entwicklung beschäftigt“, sagt Astrid Plenk. Für die Zehn- bis 13-Jährigen wurden auf dieser Basis unterschiedliche Personas aufgestellt, anhand derer Formatideen entstehen. Neue Pilotierungsthemen bei KiKA werden im Zusammenspiel mit der Zielgruppe getestet. „Das finde ich sehr, sehr spannend“, erklärt Astrid Plenk. „Da gehst du rein in ein Testing und denkst: Okay, halte ich das jetzt zehn Minuten durch in dieser Erzählform? Dann guckst du in die Gesichter deiner Zielgruppe und merkst, die giggeln nicht, weil sie es doof finden, sondern weil sie voll abgehen. Wenn das passiert, kommen die Expertisen der Redaktion und der Zielgruppen zusammen. So entsteht starker Content.“