Sprache

Die Crux mit dem Gender(n)

Was wir über Gender(n) im Kinderfernsehen wissen

„Nun sag’, wie hast du’s mit dem Gendern? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon.“
- Goethe, Faust I, Gretchen an Heinrich, frei abgewandelt

Diese kleine Abwandlung der sogenannten Gretchen-Frage bringt auf den Punkt, was in vielen Redaktionen Deutschlands die Gemüter bewegt: Das Gendern! Für die einen ist „Gendern“ eine Selbstverständlichkeit, die aufzeigen soll, dass wir uns in einer sich wandelnden Gesellschaft befinden, die die Vielfalt der Welt auch sprachlich kennzeichnen will. Für die anderen ist Gendern ein schwerer Verstoß gegen die deutsche Rechtschreibung und Grammatik. Manche sprechen gar von „Gender-Wahn“.

Warum bewegt die Debatte über das „Gendern“ und Gender allgemein so sehr, und was sind die Auswirkungen auf das Kinderfernsehen? Dieser Frage sind wir mit mehreren Studien im Rahmen des Master Kinder- und Jugendmedien zusammen mit Studierenden der Universität Erfurt und in Kooperation mit KiKA nachgegangen.

Hintergrund: Gender und Gendern – Was ist das?

Wichtig für die Debatte zum Thema Gender ist die Unterscheidung zwischen biologischem, sozialem und grammatikalischem Geschlecht. Das biologische Geschlecht, im englischen Sex, befasst sich dabei mit dem Geschlecht als biologische Eigenschaft. Für die gesellschaftliche Debatte relevant ist aber das soziale Geschlecht, im englischen Gender, welches herausstellt, dass wir als Gesellschaft bestimmen, was ein Geschlecht ausmacht, welche Vorstellungen und Eigenschaften wir damit verbinden. Mag die Biologie darüber diskutieren, ob es mehr als zwei biologische Geschlechter gibt, ist die Sachlage beim sozialen Geschlecht eindeutiger: die Anzahl der (sozialen) Geschlechter ist vielfältig. Sie kann mit dem biologischen übereinstimmen, muss dies aber nicht.

Das grammatikalische Geschlecht, Genus, kennt im Deutschen nur die männliche, weibliche und sächliche Form. Sie ist vom Prinzip her unabhängig vom biologischen oder sozialen Geschlecht. Das Kind ist grammatikalisch sächlich, ebenso wie das Weib, welches biologisch und sozial aber klar weiblich ist. Das Problem in der deutschen Sprache ist besonders der Plural: Grammatikalisch sind eine Gruppe von zehn Fußballspielerinnen und einem Fußballspieler eben „Fußballspieler“, also vom Genus her männlich. Man spricht hier vom generischen Maskulinum. Gäbe es keine Beziehung zwischen grammatikalischem und sozialem Geschlecht, wäre das Problem hier beendet und einige Menschen behaupten auch, dass dies der Fall ist – doch die wissenschaftliche Forschung sieht das anders. Sprechen wir von „Fußballspielern“ stellen sich Menschen eben eher Jungen und nicht Mädchen vor. Studien zeigen auf, dass dies auch für Kindern zutrifft. Das ist generell gerade dann der Fall, wenn wir über Personengruppen sprechen, bei den es aus der Alltagsbeobachtung klare Geschlechtsverteilung gibt. Spricht man von Polizisten malen kleine Kinder eher Männer und kaum Frauen. Obwohl es in der Tat weniger Polizistinnen als Polizisten gibt, werden diese durch die Sprache noch weniger sichtbar gemacht.  

Gendern in Anmoderationen

Zusammen mit KJM-Studentin Ronja Bachofer konnte dies auch für die Anmoderation bei Beiträgen der ZDF-Sendung „logo“ gezeigt werden. Spricht Tim hier von „Polizisten“, dachten Kinder, es kommen mehr Männer im Beitrag vor, als wenn Tim von „Polizisten und Polizistinnen“ sprach. Sprache bestimmt also unsere Vorstellung der Welt. Aus diesem Grund wird inzwischen von einer gendersensiblen Sprache gesprochen, die sich bemüht, alle (sozialen) Geschlechter zu berücksichtigen. In der gesprochenen Sprache hat sich hier der sogenannte Glottisschlag etabliert, eine kurze Sprechpause zwischen der männlichen Form und weiblichen Endung, die Gender-Lücke. Spricht Tim in unserer Studie von „Polizist [Glottisschlag]…innen „steigt der Anteil an Frauen in der Vorstellung der Kinder noch mal an.

Kritik an dieser Sprechweise richtet sich vor allem dagegen, dass dadurch Sprache unverständlich wird.

Gendersensible Sprache kann Kinder befähigen, Rollenmuster, zum Beispiel bei der Berufswahl, zu überdenken.

Auch dies haben wir überprüft und in der Tat gaben Kinder an, diese Sprechweise deutlich schlechter zu verstehen als das generische Maskulinum oder wenn beide Formen genannt wurden. Schaut man sich die Daten aber genauer an, fällt auf, dass selbst diese Gender-Lücken-Sprechweise von Kindern im Alter von acht bis zwölf Jahren gut verstanden wird – ähnlich gut wie von Erwachsenen, mit denen wir unsere Studie wiederholt haben.

Das generische Maskulinum bei Vorschulkindern

Wie gehen aber kleinere Kinder mit dem generischen Maskulinum um? Ein funk-Video der Reihe Deutschland 3000 stellt sich diese Frage und liefert einige interessante Erkenntnisse: Gendersensible Sprache kann Kinder befähigen, Rollenmuster, zum Beispiel bei der Berufswahl, zu überdenken. Dieses Video nahmen Louisa Grübler, Julius Keinath, Jule Reiter, Nils Oliver Rudolf und Alexander Wolfrum zum Anlass, den Umgang mit dem generischen Maskulinum bei Kleinkindern und ihren Berufsvorstellungen zu hinterfragen. Ihre Zielgruppe waren Kinder im Vorschulalter (vier bis sechs Jahre). Sie wurden gebeten, entweder „Polizisten“ oder „Erzieher“ zu malen – und in einem zweiten Schritt noch ihren Traumberuf. Interessant bei den Ergebnissen ist dabei, dass die Berufsvorstellungen in dieser Altersgruppe sehr geschlechtsbezogen sind. Alle drei Kinder malten nur Frauen, bei der Aufforderung „Erzieher“ zu malen. Immerhin zwei Kinder malten auch eine Polizistin. Auf den ersten Blick mag dies so wirken, als wäre das generische Maskulinum tatsächlich gender-inklusiv, wenn ja unter „Erzieher“ auch bzw. vor allem Frauen mitgemeint sind und ein Polizist wiederum auch eine Frau sein kann. Was aber beim genaueren Blick auffällt, ist, dass selbst Kinder, denen ein männlicher Erzieher aus dem persönlichen Umfeld bekannt ist, das Berufsfeld auf ihren Bildern trotzdem ausschließlich weiblich darstellen. Das generische Maskulinum verschleiert somit die Vielfältigkeit von Berufsfeldern. Die Schlussfolgerung dieser qualitativ angelegten Studie mit Kindern im Vorschulalter ist, dass das generische Maskulinum nur bedingt geschlechtliche Vielfalt bei Berufsvorstellungen offenlegt und bestehende Vorstellung von Geschlechterrollen im Beruf verfestigen kann.

Geschlechtliche Vielfalt im Kinderfernsehen

Nicht nur Sprache kann Vorstellungen von Geschlecht und Geschlechterrollen vermitteln. Gerade im Fernsehen sind es die Held*innenfiguren, die vermitteln, was es ausmacht, sich einem bestimmten Geschlecht zuzuordnen. Was aber passiert, wenn diese Zuordnung fehlt – ganz so wie beim Kikaninchen, einer bewusst geschlechtsneutral konzipierten Figur. Oliver Bärthel, Tiffany Dinger, Josefine Kleine, Luise Krahnert, Annette Melber und Johanna Orlamünder haben sich ihr gewidmet und gefragt, welche Erwartungen Kinder an Medienfiguren und insbesondere solche, die sich keinem Geschlecht zuordnen lassen, haben. Mittels Leitfadeninterviews wurden dazu Kinder in der 1. und 2. Klasse befragt. Für die Kinder ist das Kikaninchen eine „Sie“, mal ein „Er“ und gleichzeitig auch ein „Es“. Während das eine Kind Kikaninchen als Jungen bezeichnet, weil es sportlich ist, beschreibt es ein anderes Kind als weiblich – mit genau derselben Eigenschaft. Geschlechtszuordnung finden oft in Auseinandersetzungen mit dem eigenen Geschlecht statt. Auffällig ist aber ein Befund, den wir aus anderen Studien nur zu gut kennen: Männlich ist das „Normale“, weiblich das eher Abweichende. Kikaninchen ist männlich, weil es eben keine Schleife im Haar hat, weil es nicht rosa ist. Weiblichkeit muss demnach immer extra markiert werden.

Konfrontiert man die Kinder aber damit, dass Kikaninchen weder ein Junge noch ein Mädchen ist, sind die Reaktionen überwiegend positiv, nur ein Junge meint kritisch, ob es sich „nicht mal entscheiden könne“, andere sagen jedoch: „Mir ist egal, Hauptsache, es ist die Figur“. Zentrale Erkenntnis dieser Studie ist, dass die Kinder aufgeschlossen sind, tradierte Geschlechterrollen zu hinterfragen: Frech, lustig, neugierig, sportlich sind keine Eigenschaften, die sich nach Ansicht der Kinder einem Geschlecht zuordnen und die für kindgerechte Medienfiguren wichtig sind.

Kinder und Jugendliche brauchen die Konfrontation mit Vielfalt, um ihre eigene Identität zu entwickeln.

Non-Binarität in der Jugend

Mit dem Jugendalter wird aber immer mehr bewusst, dass das (soziale) Geschlecht eine komplexe Kategorie ist. In der Netflix Serie „Sex Education“ (Episode #3.4) findet sich eine Szene, in der Schüler*innen aufgefordert werden sich nach Jungs und Mädchen getrennt aufzustellen – was ein*e trans Schüler*in dazu bringt, schlicht und einfach zu fragen, wo sie/ er sich denn nun hinzustellen habe. Diese kurze Episode nutzen Lena Angert, Christine Ermer, Carolin Kinzl, Maria Kloß, Anna Schild und Luisa Weiß, um mit Teenagerinnen ins Gespräch zu kommen, wie ihre eigenen – realen und medialen – Erfahrungen mit dem Thema Non-Binarität sind, einer Geschlechtsorientierung jenseits der Kategorien männlich und weiblich. Per Leitfaden wurden hierzu Mädchen im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren befragt – also in einem Alter, in welchem Jugendliche sich mit ihrer eigenen Geschlechtsidentität auseinandersetzen und schon Vorerfahrungen mit unterschiedlichen Gender-Orientierungen gemacht haben. Interessanterweise konnten fünf der Teenagerinnen auf Vorwissen zum Thema Non-Binarität zurückgreifen. Die anderen Jugendlichen hatten nur vage Vorstellungen, dass es irgendwas mit Geschlecht zu tun haben müsste. Alle Teenagerinnen konnten aber mithilfe des kurzen Serienausschnitts das Problemfeld klar benennen. Das heißt, auch wenn Begrifflichkeiten nicht immer bekannt sind, waren allen Problemlagen von Non-Binarität bekannt. Sechs Mädchen konnten dabei auf konkrete Erfahrungen mit Non-Binarität aus ihrer Lebenswelt zurückgreifen und ein Mädchen hatte nur in den Medien eine non-binäre Person kennengelernt. Insgesamt wird das Thema Non-Binarität wenig im alltäglichen Leben beachtet, es findet sich jedoch stärker thematisiert in sozialen Netzwerken. Non-Binarität ist gerade hier in der Lebenswelt von Jugendlichen angekommen.

Geschlecht und Kinderfernsehen

Was unsere Studien mit Studierenden aufzeigen konnten, ist, dass das Thema Geschlecht in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen präsent ist. Dass die Art und Weise wie wir reden, Vorstellungen von Geschlecht, verstanden als Gender, prägen können. Dass Medienfiguren Vorbilder sein können und Kinder ein Bedürfnis haben, Medienfiguren losgelöst von gängigen Geschlechterstereotypen zu erleben, und dass Jugendliche sich der Komplexität des Themas zunehmend bewusst werden. Medienerfahrungen werden dabei immer eine wichtige Rolle spielen und somit schließt unsere Forschung an das an, was andere immer wieder aufzeigen: Kinder und Jugendliche brauchen die Konfrontation mit Vielfalt, um ihre eigene Identität zu entwickeln.

Sven Jöckel ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendmedien an der Universität Erfurt. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Nutzung und Wirkung von Medien bei Kindern und Jugendliche insbesondere unter Aspekten der Privatsphäre, Gender und Moral.

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